Das Myokarditis-Mysterium
Immer wieder brechen seit Corona junge Sportler plötzlich zusammen – und sterben an Herzversagen. Nicht selten wird im Nachhinein eine Myokarditis als Auslöser ausgemacht. Aber lässt sich ein Anstieg der Herzmuskelentzündungen auch statistisch belegen?
von Larissa Fußer
m 29. Oktober 2023 hielten tausende niederländische Fußballfans plötzlich den Atem an. Vor ihren Augen war der niederländische Fußballspieler Bas Dost in der neunzigsten Minute eines Matches der nationalen Liga Eredivisie zusammengebrochen – und nicht mehr aufgestanden. Schockiert bildeten die anderen Sportler eine Mauer um den 34-Jährigen, während dieser von medizinischem Personal behandelt wurde. Bald spannten Beteiligte eine Plane um den jungen Mann auf. Dost hatte das Bewusstsein verloren und musste über Minuten reanimiert werden, hieß es später. Die Wiederbelebung gelang – im Krankenhaus erfuhr der Spieler die Ursache seines Zusammenbruchs: Er hatte eine Herzmuskelentzündung erlitten.
Der gerade mal 25-jährige deutsche Fußballspieler Agyemang Diawusie hatte nicht so viel Glück. Am 28. November 2023 verstarb er an einem plötzlichen Herztod – Ursache: vermutlich eine Herzmuskelentzündung. Die gleiche Diagnose hatte der Basketball-Profi Oscar Cabrera Adames erhalten, nachdem er 2021 während eines Ligaspiels in Spanien zusammengebrochen und ins Krankenhaus eingeliefert worden war. In den sozialen Netzwerken machte der Basketballer seine zwei vorangegangenen Corona-Impfungen für die Erkrankung verantwortlich. Im Juni 2023 dann starb Adames plötzlich bei einem Belastungstest in einem Gesundheitszentrum an Herzversagen. Er wurde 28 Jahre alt.
Seit der Corona-Pandemie häufen sich die Meldungen von Sportlern, die während eines Spiels zusammenbrechen, das Bewusstsein verlieren und einen Herzstillstand erleiden. Nicht selten wird im Nachhinein eine Myokarditis-Diagnose als wahrscheinlicher Auslöser ausgemacht oder vermutet. Doch bis heute lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob die subjektive Wahrnehmung, dass es seit der Coronazeit häufiger zu diesen Vorfällen kam, der Realität entspricht und sich mit Zahlen belegen lässt.
Viele Anfragen, wenige Antworten
Bereits im Dezember 2023 fragte unsere Redaktion zu dieser Thematik beim Institut für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes an. Dieses wurde von der Deutschen Herzstiftung mit fast 90.000 Euro dazu beauftragt, ein deutsches Register für plötzliche Herztodesfälle im Sport zu entwickeln. Auf die Frage, ob sich eine Häufung von plötzlichen Todesfällen durch ihre Forschung belegen ließe, antworteten die Institutsvertreter, dass man derzeit an verschiedenen Studien zu dieser Frage arbeite. Bisher würden die Daten aber zeigen, dass sich eine solche vermutete Häufung nicht belegen ließe. Zahlen wollte das Institut auf Anfrage nicht herausgeben, da diese demnächst publiziert würden – solange müsse man sich noch gedulden.
Wir wollten nicht auf unbestimmte Zeit warten. Also wählten wir einen anderen Ansatz: Um überhaupt beurteilen zu können, ob es während der Corona-Pandemie einen Anstieg an Herzmuskelentzündungen gegeben hatte, fragten wir beim Bundesgesundheitsministerium, dem Robert-Koch-Institut und dem Paul-Ehrlich-Institut sowie bei verschiedenen Fachvereinigungen wie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, dem Myokarditisregister Jena, dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung und der Deutschen Herzstiftung an.
Konkret erbaten wir eine jährliche Aufstellung aller Myokarditis-Fälle von 2013 bis 2023. Die ernüchternde Antwort: Da die Erkrankung in Deutschland nicht meldepflichtig ist, existiert auch kein bundesweites Register für Herzmuskelentzündungen, das auch Erwachsene einschließt. Dennoch empfahl man uns, die Fallzahlen über die Analyse von Diagnosedaten der Krankenhäuser in Deutschland näherungsweise zu ermitteln.
So gab uns das Bundesgesundheitsministerium auf Basis dieser Daten für das Jahr 2022 eine absolute Fallzahl von 6.589 mit der Hauptdiagnose Myokarditis an. Darin waren alle Diagnosen mit den ICD10-Codes B33.2 (Karditis durch Viren), I01.2 (Akute Rheumatische Myokarditis), I09.0 (Rheumatische Myokarditis), I40 (Akute Myokarditis) und I51.4 (Myokarditis, nicht näher bezeichnet) enthalten. Um den Wert mit den Vorjahren vergleichen zu können, erstellten wir auf Basis der Daten der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (GBE) eine Tabelle, die genau dieselben Diagnosecodes für die Jahren 2013 bis 2022 nebeneinander stellte.
Das Ergebnis ist bemerkenswert: Der Gesamtwert von 6.589 Myokarditisfällen im Pandemiejahr 2022 lag deutlich vor den addierten Gesamtwerten der Vorjahre. Auf dem zweiten Platz stand mit 6.319 Fällen das Jahr 2016, danach folgte das Pandemiejahr 2021 mit 6.190 Diagnosen. Ebenfalls auffällig: In den letzten zehn Jahren hatte es nie so viele Fälle einer akuten Myokarditis gegeben wie in den Pandemiejahren 2022 (4.898) und 2021 (4.561).
Diese Erkenntnisse ließen sich auch im europäischen Ausland wiederfinden. Nachdem wir bei den Gesundheitsbehörden von Großbritannien, Österreich, der Schweiz, Schweden, Norwegen, Dänemark, Ungarn sowie Kanada, Australien und den USA ebenfalls die Myokarditisfälle seit 2013 angefragt hatten, erhielten wir schließlich zwar hauptsächlich ausweichende Antworten – jedoch im Falle Schwedens und Ungarns handfeste Zahlen. Ungarn übermittelte uns die Anzahl der Fälle mit den ICD10-Codes I40 (Akute Myokarditis) und I41 (Myokarditis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten). Hier war 2021 mit 410 registrierten Fällen der Vorreiter, gefolgt von 2019 mit 328 Fällen und dem Pandemiejahr 2022 mit 327 Fällen.
Schweden wiederum sendete uns eine Übersicht der Fälle mit den Diagnosecodes I40.0 (Infektiöse Myokarditis), I40.1 (isolierte Myokarditis), I40.8 (Sonstige akute Myokarditis), I40.9 (Akute Myokarditis, nicht näher bezeichnet) sowie I41.1 (Myokarditis bei anderenorts klassifizierten Viruskrankheiten), I41.8 (Myokarditis bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten) und I51.4 (Myokarditis, nicht näher bezeichnet).
Auch hier zeigten die Zahlen: Das Pandemiejahr 2021 war mit insgesamt 2972 Myokarditisfällen die Spitze der Statistik, es folgten das Jahr 2018 mit 2889 Fällen und 2015 mit 2547 Diagnosen. Nur das Pandemiejahr 2022 nahm mit 1907 Fällen hier einen nachgelagerten Platz ein. Ebenfalls auffällig in dieser Übersicht ist der besonders auffällige Anstieg in der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen. Hier erkrankten im Jahr 2022 254 Personen an einer Herzmuskelentzündung, 2021 waren es 238 – die Werte sind deutlich höher als in den Vorjahren, in denen das Jahr 2015 mit 187 Fällen die Spitze bildet.
Die Daten offenbaren: Es gibt durchaus ein deutliches Signal, dass es während der Pandemiejahre in der deutschen Gesamtbevölkerung wohl zu einem Anstieg der Herzmuskelentzündungen gekommen ist. Endgültig belegen lässt es sich freilich mit den verfügbaren Daten nicht – immerhin bleiben unter anderem Diagnosen, die außerhalb des Krankenhauses gestellt wurden, in der Statistik unberücksichtigt. Auf der anderen Seite kann man davon ausgehen, dass es noch eine hohe Dunkelziffer gibt. Herzmuskelentzündung überhaupt zu erkennen, ist nämlich oft schwierig. Häufig treten nur unspezifische Symptome wie Abgeschlagenheit und Kurzatmigkeit auf – die Erkrankung bleibt so mitunter unentdeckt.
Natürlich stellt sich bei diesen alarmierenden Zahlen vor allem eine Frage: Was ist die Ursache dieses Anstiegs? Das kann jedoch nach wie vor nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Es ist bekannt, dass Herzmuskelentzündungen meist durch verschleppte Vireninfektionen entstehen. Das von vielen Ärzten vorgetragene Argument, dass viele Herzmuskelentzündungen vermutlich infolge einer Infektion mit Covid-19 aufgetreten sind, ist daher nicht unplausibel. Ebenfalls gilt es inzwischen aber in medizinischen Fachkreisen als erwiesen, dass auch die mRNA-Impfstoffe Herzmuskelentzündungen auslösen können – vor allem beim jungen Männern.
Forschung gegen das Vergessen
Und gerade die jungen Männer sind es, die – so scheint es – seit Beginn der Pandemie immer häufiger ganz plötzlich wegen Herzproblemen zusammenbrechen. Der Verlauf von Herzmuskelentzündungen infolge einer Corona-Impfung ist oft mild, heißt es inzwischen in zahlreichen medizinischen Fachmagazinen – meist heile die Erkrankung von allein aus, beteuert man. Nur ist eben auch klar: Eine Myokarditis kann – bei einer Chronifizierung sogar mitunter Jahre nach der Erkrankungsbeginn – zu einem plötzlichen Herztod führen. Auch bei jungen Leuten.
Vier Jahre nach Pandemiebeginn wäre es höchste Zeit für systematische, kritische wissenschaftliche Untersuchungen zu den Auslösern der Herzmuskelentzündungen, die in den letzten Jahren nicht wenigen jungen Menschen das Leben gekostet haben. Bisher weiß man noch nicht einmal, über welchen körperlichen Mechanismus die Corona-Impfung überhaupt eine Myokarditis verursachen kann.
Der Horror der plötzlich auf dem Platz zusammenbrechenden jungen Sportler droht derweil schon wieder in Vergessenheit zu geraten. Eine Gesellschaft, die gerade auch die jungen Menschen während der Corona-Pandemie dazu gedrängt hat, sich impfen zu lassen, sollte nun ganz besonders daran interessiert sein, diese plötzlichen Todesfälle aufzuklären. Es ist eine Frage des Anstands und der Würdigung dieser viel zu früh beendeten Leben.